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Wer kennt es nicht, Goethes
berühmtes "Heidenröslein" mit seinen zahlreichen Vertonungen,
unter anderem von Brahms, Schubert und Schumann. Ein Gedicht für Blumenfreunde,
durch und durch unschuldig, auch wenn manche Psychologen gern anzügliche
Phantasien hinein interpretieren möchten. Um weiteren Missdeutungen
vorzeubeugen, hat Zapfendünkel aus alten Quellen die wahren
Tatsachen recherchiert, die Goethe einst inspirierten. |
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Heidenröslein Sah ein Knab ein Röslein stehn, |
Was wirklich geschah Ein leicht angetrunkener, männlicher Heranwachsender
entdeckt auf dem Rückweg von einer feuchtfröhlichen Geselligkeit
um etwa 5:30 Uhr am Straßenrand ein prachtvolles Exemplar der mittlerweile
seltenen, wildwachsenden, in Mittel- und Südeuropa beheimateten Essigrose
(rosa gallica). Angezogen vom auffallenden Rot der taufrischen äußeren
Blütenblätter, schwankt er heran um (a) sie näher in Augenschein
zu nehmen und (b) einem dringenden Primärbedürfnis nachzugeben,
das sich aufgrund erhöhter Flüssigkeitsaufnahme eingestellt
hat. |
Knabe sprach: "Ich breche dich, Röslein auf der Heiden!" Röslein sprach: "Ich steche dich, Daß du ewig denkst an mich, Und ich will's nicht leiden." Röslein, Röslein, Röslein rot Röslein auf der Heiden |
Nachdem er
die Rose beim Wasserlassen eine Weile angeglotzt hat und sicher ist, daß
es sich tatsächlich um ein Einzelexemplar handelt, reift in seinem
Hirn der nebelhafte Plan, sich, ungeachtet der an den Trieben des Gewächses
befindlichen Doppelreihen scharfer Dornen, unter Anwendung brachialer Gewalt
in den Besitz der auffallenden Blüte zu bringen.
Er teilt dieses Vorhaben in lallenden Worten der Pflanze
mit, die ihm, abgesehen von einer kurzen deliranten Halluzination, eine
vernehmbare Antwort schuldig bleibt. |
Und der wilde Knabe brach |
Dergestalt ermutigt und durch den Alkoholgenuß enthemmt, beugt sich der Jugendliche unter Aufbietung allen Restgleichgewichts nach vorne, faßt den Trieb mit Daumen und Zeigefinger und knickt ihn etwa in der Mitte. Bei dem anstrengenden Versuch, die ersehnte Blüte durch verstärkten Zug von der Bruchstelle zu lösen, verheddert sich sein noch immer entblößter Hosenstall in exponierten Zweigen des Rosenstrauches, wobei eine der spitzen Dornen sich in empfindliche, nicht näher beschriebene Weichteile bohrt. Irritiert durch die unerwartete Attacke, verliert er endgültig das Gleichgewicht, strauchelt und fällt schließlich rücklings zu Boden, wobei sich gleichermaßen die schmerzhafte Intromission als auch der Blütenstengel lösen. (Somit erweist sich der scheinbar unkoordinierte Rückzug letztlich als strategisch geniales Manöver.) Leider verschweigt uns Goethe gewisse mittelbare Folgen,
betreffend die Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen Trunkenheit,
Beschädigung öffentlichen Eigentums und Exhibitionismus. Die
Rose wird, da sie nicht wieder mit ihrem Stumpf verbunden werden kann,
einer Vase zugeführt. |
Johann Wolfgang von Goethe: 1771 | Tatsachenbericht: Zapfendünkel, 1992 |
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