Von der Eintagsfliege, die auszog,
das Heilige Land zu befreien
 

Tief in Bayern stand die Wiege
Einer deutschen Eintagsfliege.
Ihre Eltern, welche Klage,
Starben nach der Eiablage.

Ganz auf sich allein gestellt,
Konnte niemand sie belehren,
Ihr des Lebens Sinn erklären,
Das nur einen Tag lang hält.

So strebte sie nach jenen Dingen,
Die nicht in einem Tag gelingen.
Schon nach knapp zwei Fliegenstunden
War ein hehres Ziel gefunden:

Sich dem Kreuzeszug zu weihen;
Wie einst ein Ritter, hoch zu Roß,
Die heil'gen Stätten zu befreien.
Doch nicht nur jenes: Sie beschloß,
Den Weg zu Fuß zurückzulegen -
Allein der guten Sache wegen.

Und auf ganz wundersame Weise
Verstarb sie nicht auf dieser Reise.
Als ließ ein unsichtbares Wesen
Die Fliege jeden Tag genesen.

Kaum Nahrung gabs, nur kleine Steinchen.
Ein Ruhetag kam selten vor.
Doch sie blieb tapfer und verlor
Nur einen Flügel und ein Beinchen.

Trotz Hunger, Durst und Wundenbrand,
Allein durch fromme Glaubensmacht,
Hat sie es irgendwann vollbracht,
Und kam erschöpft ins heil'ge Land.

Doch das Schicksal wollt' sich wenden,
Nahm das Werk ihr aus den Händen,
Gab sie nach der langen Reise
Einem Spinnentier zur Speise.
 

 

 
© Humberto Brentano (Zapfendünkel) - Alle Rechte vorbehalten (siehe Copyright).