Der Jubilar
 

Stumm und bleich, mit schütt'rem Haar,
Sitzt zu Tisch der Jubilar.
Dankbar fühlt er sich im Kreis
Der Verwandten wohlgeborgen,
Die sich um die Erbschaft sorgen.

Seine Hände, reich an Falten
Scheinen langsam zu erkalten,
Können kaum das Weinglas halten,
Das er hebt mit leichtem Zittern.
Und die Runde wird ganz still,
Weil er etwas sagen will.

Ächzend stimmt der alte Mann
Eine Dankesrede an.
"Ach, Ihr lieben, treuen Seelen,
Die Ihr Euch habt eingefunden!

Alles, was ich mit Bedacht,
Einst der Mutter Kirch' vermacht,
Will ich heute neu verteilen -
Fühle nah die letzten Stunden.
Bitte, bringt das zu Papier!
Der Notar sitzt neben mir."

Höchst gespannt, mit off'nem Munde,
Steigt die Stimmung in der Runde.
Wohl bedacht sieht sich ein jeder.
Der Notar spitzt schon die Feder,

Und er leiht sein Ohr dem Greis,
Welcher ihm diktiert, ganz leis.
"Dieses sei mein letzter Wille: ..."
Doch dann ist er plötzlich stille.
Und sein Haupt sinkt, das ist übel,
In den vollen Soßenkübel.

Dabei kippt auch, welch ein Graus,
Der dezente Asternstrauß,
Der die Festtagstafel ziert.
Der Notar ist irritiert.

Auf dem Boden klirren Scherben.
Röcheln noch, ein kurzes Zucken -
Stumm und bleich sind jetzt die Erben,
Weil sie in die Röhre gucken.

 
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